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„Ich bin der Sehnsucht nachgegangen.“

Das Katholische im Leben von Robert-Jan Ginter hat familiäre Wurzeln, ist er doch in einer polnischen Familie aufgewachsen. Zwar wurde er 1986 in Braunschweig geboren und ist auch dort aufgewachsen, aber seine Eltern kommen aus Polen, sein Vater aus der Kaschubai und seine Mutter aus Schlesien. „Und ich kann kein Wort polnisch, weil meine Eltern mit mir nur Deutsch gesprochen haben. Leider muss ich sagen, weil es sehr wertvoll ist, mit zwei Sprachen aufzuwachsen.

Seine Heimat ist eine Diasporaregion. Die Katholiken seien dort immer schon in der Minderheit gewesen. „Ich bin trotzdem mit meinen Eltern jeden Sonntag zum Gottesdienst gegangen. Für mich hat das irgendwie eine ganz lange Zeit dazugehört.“ Ginter beginnt diese „Routine“ interessanterweise erstmals zu hinterfragen, als er zur Firmung geht. „Ich habe mich gefragt: Warum macht man das eigentlich so. Und das war ein komischer Zeitpunkt, denn eine Firmung muss einen ja eigentlich bestärken.“ So tauchten also plötzlich einige große Fragezeichen auf. Die Firmung konnte ihn auch zunächst einmal nicht bestärken, sondern erst im Nachhinein.

„Da spürt man dann auch die Wirkung des Heiligen Geistes.“

Zu dieser Zeit starb seine Großmutter „und, da habe ich mich vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben existenziellen Fragen gestellt. Also Fragen wie: Was schenkt mir der Glaube? Was ziehe ich aus dem Glauben? Und was bedeutet ein Leben nach dem Tod? Was bedeutet überhaupt Leben und Wahrheit? Man hat ja auch eine Sehnsucht nach einem erfüllten Leben. Was bedeutet das aus dem Glauben heraus? Was bedeutet es, wenn wir sagen: ‘Christus hat die Fülle der Zeit gebracht‘, dass wir als Christen ein erfülltes Leben führen? Worin zeigt sich das? Da habe ich mich dann zum ersten Mal mit den Inhalten beschäftigt.“

Ginter fängt auch deswegen an, sich diese Fragen zu stellen, weil er erlebte, wie die Menschen in Polen bei der Bestattung seiner Großmutter im Vorhinein den Sterberosenkranz bzw. den Totenrosenkranz im Haus beten – auf Polnisch natürlich. „Ich habe kein Wort verstanden. Aber das Haus war voller Menschen.“ Das ganze Dorf komme in Polen beim Totenrosenkranz zusammen und dann werde überall, im Flur, in den verschiedenen Zimmern, in der Küche, durchs ganze Haus der Rosenkranz gebetet. Und nach dem Gebet gingen die Leute dann wieder. „Mich hat das trotzdem nicht alleine zurückgelassen, sondern richtig bestärkt.“

„Dieser Rosenkranz hat mich so erfüllt, dass ich mich gefragt habe: Was war das jetzt eben.“

Robert Ginter hatte also bei aller Trauer eine Hoffnung und eine Sehnsucht aus dem Glauben geschenkt bekommen. Diesem Gefühl geht er nun nach und engagiert sich ab diesem Zeitpunkt in der Kirchengemeinde, auch in der Braunschweiger City. Dort gestaltet er Jugendmessen, macht beim Bibelteilen mit und wird Katechet für die Firmung. Dann kommt auch irgendwann eine Romfahrt dazu, der Weltjugendtag in 2005, das auch das Jahr von Ginters Abitur ist.
„Ich habe mich dann in diesem Zug gefragt, und ich war selber erstaunt darüber, ob ich das nicht mein ganzes Leben lang machen möchte, weil mich das Ganze so mit Sinn erfüllt hat – und mit Freude. Und irgendwie habe ich dem Ganzen dann ja sagen können und war erstaunt darüber, denn das bedeutet ja auch, dass es die Lebensplanung irgendwie durchkreuzt. Es ist ja nicht nur ein Beruf Priester zu werden, sondern auch eine Berufung. Das ganze Leben stellt sich dann darauf ein. Die ehelose Lebensform, der Gehorsam und ein Leben, das sich dann praktisch der Gemeinde unterordnet. Das Primäre ist, sich für die Menschen hinzugeben und nicht so sehr auf das eigene Glück zu schauen. Eigentlich etwas Unattraktives in einer hedonistischen Zeit.“

Ginter geht diesem Neuen auch im Rahmen seines Zivildienstes nach, den er in Berlin bei der Fazenda da Esperanza (übersetzt „Hof der Hoffnung“), einer Selbsthilfeeinrichtung für suchtkranke Jugendliche, absolviert. „Das ist eine katholische Gründung und sie haben Großartiges gemacht.“ Jugendlichen, die sich schwer mit Gemeinschaft, Arbeit und Gebet getan haben, werden dort in ein soziales Leben eingeführt. Das Gemeinschaftsleben habe jeden Morgen um 7 Uhr mit dem Rosenkranz begonnen.

Nach dem Zivildienst, der ihn in seiner Entscheidung für das Priestertum bestärkt, geht Robert-Jan Ginter 2006 ins Priesterseminar nach Frankfurt und studiert dort zunächst einmal bis zum Vordiplom Philosophie. Von 2008 bis 2009 absolviert er seine beiden Auslandsfreisemester in Paris, um dann sein Theologiestudium in Frankfurt zu beenden. Seine Diplomarbeit schreibt er über PRESBYTERORUM ORDINIS, ein DEKRET des 2. Vatikanischen Konzils. „Das war sehr bekräftigend für mich bei der Suche nach meiner Berufung“ beschreibt er die Beschäftigung mit dem Thema Dienst und Leben der Priester auch auf wissenschaftlicher Ebene.

In der Zeit des Studiums ist ihm die Diözese Limburg zu einer neuen Heimat geworden. Geistliche Zentren wie Marienthal, Marienstatt und das Kloster in Eibingen sind ihm wichtig geworden. In der Zeit des Studiums lernte er auch das Kapellchen in Wiesbaden kennen.

 „Ich bin der Sehnsucht nachgegangen.“

„Das sagt auch Ignatius. Da wo ich den inneren Frieden verspüre, dem bin ich immer nachgegangen. Für mich gibt es nichts Schöneres als Priester zu sein, das ist einer der besten Berufe der Welt. Eigentlich ist es ja fast unmöglich so etwas heute zu sagen, aber es stimmt ja.“

Ginter beginnt mit einer Praktikumsstelle in Braunfels, ist dann zunächst Diakon in Elz und bekleidet nach der Priesterweihe Kaplansstellen in Rennerod im Westerwald und in Flörsheim, der Pfarrei, in der heute Matthias Böhm als Kaplan tätig ist. „Ich habe schöne Kaplanstellen kennengelernt und diese auch noch vor Corona erlebt.“ In seiner ersten Kaplansstelle in Rennerod habe es Maiprozessionen und Maiandachten gegeben, den Rosenkranzmonat Oktober, auch Sterberosenkränze, man wurde zu Aussegnungen und Krankensalbungen gerufen. „Dort gab es so eine Selbstverständlichkeit des Katholischen.“ Dieses habe sich zum Beispiel darin gezeigt, dass viele dieser Menschen keine Angst vor dem Tod haben und auch bei den schlimmsten Verlusten, die man sich so vorstellen kann immer treu nach dem Motto gelebt und dies auch so formuliert haben:

„Hinter dem Pflug ist geackert.“

Man schaue nur nach vorne und lasse sich nicht von Niederschlägen zu Boden reißen, sondern mache einfach weiter. Bei den wenigsten Trauergesprächen haben man aufgelöste Menschen kennengelernt, sondern die meisten seien sehr gefasst gewesen. „Dort habe ich auch erlebt, wie Männer den Rosenkranz beten.“

Der Weg zum Glauben
Er sage den Eltern beim Taufgespräch immer: So wie sie den Kindern die Sprache beibringen, sei es absolut wichtig, dass sie den Kindern auch die Sprache des Glaubens beibrächten, zu beten, den Kindern zu zeigen, dass es noch etwas über uns gibt. Am Vorbild der Eltern würden Kinder viel für ihren eigenen Glauben lernen können.
„Wenn Eltern den Kindern zeigen, dass es noch etwas über uns gibt, von dem wir unser Leben empfangen haben, von dem wir alle Gnaden empfangen, mit dem wir Trauer und Freude teilen können, dann überzeugt einen das schon von der Präsenz Gottes. Ich würde schon sagen, dass ich mit diesem Wissen aufgewachsen bin und sehr dankbar bin dafür, diese Sprachfähigkeit bekommen zu haben. Das Taufversprechen, die Kinder im Glauben groß werden zu lassen, sollte sehr ernst genommen werden.“

Mission und Zukunft der Kirche
Zur aktuellen Situation der Kirche und wie er die Notwendigkeit einer Mission sehe, antwortet er: „Mission bedeutet ja, dass man erst einmal auf einen kleinen Kern zurückkommt und dass man daraus mit dem Feuer des Glaubens ausstrahlt, das die Menschen entzündet.“  Dies bedeutete ja auch, dass man nicht in volle Regionen komme, in denen der Glaube schon etwas Selbstverständliches sei. Papst Benedikt habe immer schon gesagt, dass die Kirche in Deutschland wieder zu einer kleinen Herde werden werde. Aber so habe es ja auch mit den Jüngern angefangen. „Und es bekümmert mich nicht, wenn ich in die Zukunft blicke –  im Gegenteil: Solange wir Christus in unserer Kirche wissen, der der Stifter der Kirche ist, so lange müssen wir uns auch über die Zukunft nicht sorgen. Im Gegenteil! Die Kraft und Freude aus dem Glauben zu ziehen, kann einen für den Zukunft bestärken.“ Die Menschen hätten vom Inhalt des Glaubens immer weniger Ahnung und könnten auch nichts weitergeben, obwohl bei einigen sehr wohl eine Sehnsucht da sei. Der Prozess des Wenigerwerdens sei noch nicht am Ende angekommen. Das lasse sich auch nicht aufhalten, indem man sich verbiege, denn was verlorenginge sei das Glaubenswissen. „Die Menschen tragen in sich eine Sehnsucht und suchen nach Antworten für ihren Glauben.“

„Ich habe nie angefangen und gedacht: Ich werde jetzt Priester, weil das ein Beruf ist, der eine super Akzeptanz in der Gesellschaft hat. Im Gegenteil. Meine Geschichte ist ja, dass ich in der Diaspora aufgewachsen bin. Da waren Katholiken Exoten.“  Das sei keine ernstzunehmende Größe gewesen. Er habe stattdessen schon immer gewusst: „Als Priester hast du nicht zu erwarten, dass du von der Gesellschaft bejubelt wirst. Als Priester hast du nicht zu erwarten, dass du erwartet wirst. Als Priester hast du auch nicht zu erwarten, dass gegenwärtig die Kirche am Blühen ist. Sondern du wirst hier mit Baustellen zu tun haben.“

„Das Schönstattkapellchen hat wirklich eine Vorreiterrolle.“

sagt er lachend, meint dies aber durchaus ernst. „Wenn wir überall solche Schönstatt-Kapellchen hinbauen würden, wäre das okay. Die sind leicht instand zu halten, schön klein, es wird immer voll. Und das ist doch was, wenn man noch Stühle anstellen muss und Leute noch draußen stehen. Das hat etwas von: hier ist uns etwas so wichtig, dass wir uns anstrengen, dass wir sogar die schlechtesten Plätze auf uns nehmen, um an der Messe teilzunehmen.“

Im letzten Jahr hatte Robert-Jan Ginter einen schweren Fahrradunfall, der jedoch im Rückblick betrachtet noch glimpflich ausgegangen ist. Die Motorik ist als Folge des Unfalls zeitweise eingeschränkt. Ein halbes Jahr lang habe er den Daumen nicht richtig bewegen können. Bei einigen Dingen im Alltag sei er bis heute eingeschränkt, zum Beispiel beim Greifen eines Löffels. „Ich musste das Ganze neu lernen.“ Die Situation unmittelbar nach Unfall beschreibt er so: „Man überlegt erst einmal, ob man lebt, dann geht man andere Funktionen des Körpers durch.“ Im Krankenhaus habe er dann realisiert, was er für ein Glück hatte. „Da war ich den Tränen wirklich nahe.“ Auf die Frage, inwieweit der Unfall sein Leben verändert und möglicherweise auch seinen Glauben verändert habe, antwortet er:

„Ich frage mich immer noch: Was wollte der liebe Gott mir damit sagen.“

„Auf jeden Fall bin ich meinen Schutzengeln sehr dankbar, dass sie mir geholfen haben. Und ich bin dankbar über das Geschenk des Lebens.“ Und er ergänzt: „Wie selbstverständlich wir immer damit umgehen, dass wir gesund sind. Und dass das von heute auf morgen durch eine Kleinigkeit weg sein kann.“ Dass er die Hand erst einmal nicht öffnen konnte, habe ihn jedoch dennoch nie wirklich beunruhigt, das Vertrauen sei immer da gewesen, dass die Funktionsfähigkeit irgendwann zurückkehrt. „Wir gehen mit einer viel zu großen Selbstverständlichkeit damit um, dass wir gesund sind und ein ganzes Leben lang davor nur so strotzen.“

Gespräch aufgezeichnet von Jan Schneider

Pfarrer Robert-Jan Ginter ist leidenschaftlicher Imker. Die beiden Bienenstöcke stehen im Garten der Pfarrei St. Peter und Paul in Schierstein.

Foto: Jan Schneider